Rede zur Eröffnung von Michael Hübl
Es ist ein gefährliches, zumindest ein brisantes Terrain, auf dem sich Susanne Ackermann mit ihren Arbeiten bewegt. Falls Sparkassen-Direktorinnen oder Bankchefs im Raum sein sollten, sehr geehrte Damen und Herren, dann schwant Ihnen wahrscheinlich schon, worauf ich hinaus will. Die anderen unter Ihnen, also diejenigen, die nicht im Finanzgewerbe tätig sind, sollten sich jetzt allerdings bitte nicht in die Irre leiten lassen. Nein, es geht nicht, auch nicht hier in Baden-Baden, wo man das nun wirklich vermuten könnte, – es geht nicht um Geld, weder um gutes noch um böses Geld, sondern um Farbe.
Farbe hat es in sich. Farbe steckt voller Konfliktpotenzial, das sich wohl am auffälligsten in der Farbe Rot manifestiert. Ihr Assoziationsspektrum ist weit gespannt; es reicht sozusagen von Bremsen bis Beschleunigen, von der roten Ampel als absolutem Haltegebot bis zur roten Fahne als Symbol dynamischen gesellschaftlichen Fortschritts. Solche Bedeutungszuschreibungen sind allerdings sekundär. Zunächst gilt: Rot erregt Aufmerksamkeit. Deshalb ist Rot als Signalfarbe begehrt, so sehr, dass sich zuweilen sogar die Justiz mit dieser Farbe befassen muss. Zwischen dem deutschen Sparkassen- und Giroverband und der Santander Bank ist ein jahrelanger Rechtsstreit um die Farbe Rot entbrannt, der bis vor den Bundesgerichtshof gelangte, von wo er freilich zurückverwiesen wurde an das OLG Hamburg.1 Das ist kein Einzelfall. 2008 forderte die Deutsche Telekom das US-Unternehmen Engadget Mobile auf, die Farbe Magenta aus dem Logo herauszunehmen, weil Magenta nun mal die Markenfarbe der Telekom sei.2 Ärger noch erging es der Firma Henkel: Die musste im August 2013 einen Duftspüler für Toilettenschüsseln vom Markt nehmen, weil dieses Hygieneprodukt mit seinen Komponenten Blau und Gelb den Nationalfarben der Ukraine verblüffend ähnlich sah; der deutsche Markenartikel hatte etwas von einer geschwungenen ukrainischen Fahne. Ausgerechnet im russischen Fernsehen wurden Werbespots gesendet, die zum Kauf des blau-gelben WC-Veredlers animieren sollten.3
Sie verstehen jetzt, verehrte Damen, geehrte Herren, liebe Freunde, warum ich eingangs sagte, Susanne Ackermann bewege sich mit ihren Arbeiten auf heiklem, brisanten, wenn nicht gar gefährlichem Terrain. Denn die Künstlerin konzentriert sich in ihren Malereien und zum Teil auch in ihren Zeichnungen ganz und gar, wenn auch nicht ausschließlich auf das Thema Farbe. Ackermanns Tafelbilder sind nicht narrativ, illustrieren keine Geschichten oder Szenerien; sie beschreiben nichts und nirgends offerieren sie semantisch aufgeladene Zeichen oder Symbole. In den Malereien von Susanne Ackermann dreht sich alles um Farbe, manchmal sogar im buchstäblichen Sinne: Eine Reihe von Arbeiten ist aus kreisenden Farbbahnen aufgebaut, die in weit geschwungenen Drehbewegungen auf die Leinwand aufgetragen wurden – Schicht um Schicht, in zahllosen Überlagerungen.
Wie viele das sind, vermag nicht einmal mehr die Künstlerin zu sagen. Wichtig ist auch nicht die Zahl der Schichten, sondern die Wirkung, die erzeugt wird. Die Farben überlagern sich, manche werden verdrängt und verdeckt, andere stechen aus dem Geflecht der Kreisbewegungen leuchtend hervor; plötzlich macht sich da zwischen rotierendem Weiß, Gelb, Orange und Rot, also zwischen Farben, die im Spektrum nahe beieinander liegen, ein helles, nachgerade kesses, freches Grün bemerkbar. Als ein weiterer Effekt, der durch Ackermanns Arbeitsweise entsteht, ergibt es sich, dass sich die Farbschichtungen mischen: Weiß und Rot verbinden sich zu Rosa, Rot und Blau zu Violett, und wenn alle Farben zusammen kommen, sieht das aus wie Schwarz.
Man könnte meinen, diese Arbeiten seien Momentaufnahmen. Als habe Ackermann nur kurz mal einen Prozess unterbrochen, der sich sofort wieder mit kreisenden Bewegungen weiterführen ließe. Tatsächlich aber ist der Zustand, in dem sich ein Werk darstellt, immer das Ergebnis einer klaren Entscheidung. Die Künstlerin beendet das Übereinanderlegen unterschiedlicher Farbschichten, sobald für sie ein Punkt erreicht ist, an dem sich zwischen den einzelnen Komponenten des Bildes so etwas wie ein ästhetisch wirksames Zusammenspiel einstellt. „Ästhetisch wirksam" will heißen: Das Zusammenspiel der Farben hat einen Grad erreicht, an dem es interessant wird, an dem es verlockend, womöglich geboten sein kann, sich in das malerische Geflecht oder Gefüge zu vertiefen.
Dieser Impuls, sich näher auf die Malereien einzulassen, hängt eng mit Susanne Ackermanns künstlerischer Methode zusammen. Denn Ackermann geht additiv vor. Nicht nur dann, wenn sie die Farbe in großen Bögen aufträgt, auch bei den Bildern, die aus kleineren Farbfeldern, quasi kachelartig aufgebaut sind, fügt sie Element an Element, legt sie Farbpartie über Farbpartie. Farbe ist in diesen Arbeiten nicht bloß ein visueller Fakt, eine Fläche, der man schauend gegenübersteht, sondern der Eindruck, der sich beim Betrachten einstellt, entsteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Farbimpulse; dort, wo die Malerei gleichsam in rotierenden Bahnen aufgetragen ist, könnte man auch von Farbsträngen sprechen, die in der Summe das Gesamtbild ergeben.
Hier muss sofort der Einwand kommen: Bei den meisten Gemälden ist das so. Ob bei Mantegna oder Manet, Grünewald oder Gauguin – immer resultiert die Wahrnehmung des Bildes aus der Gesamtheit der Farbeindrücke. Bei den Arbeiten von Susanne Ackermann ist das allerdings insofern anders, als dort die Totalität der Farbeindrücke aufgesplittet ist. Jede Farbe liegt einzeln für sich da. Und auch wenn sich der Verlauf der Farbbahnen, Farbstränge oder Farbfelder, die Ackermann aufträgt, nicht bis ins Letzte nachvollziehen lässt, so ist man doch durch den vielschichtigen Aufbau der Malereien versucht, mit dem Blick auszukundschaften, wo welche Farbe platziert ist, wo sie verschwindet und wo sie wieder auftaucht, sich mit einer anderen Farbe mischt oder in hartem Kontrast gegen sie absetzt.
In gewisser Weise provoziert also Ackermann ein analytisches Sehen. Sich in ihre Bilder zu vertiefen ist beinahe so, wie wenn man einem Telekom-Techniker dabei zusieht, wie er ein Kabel in lauter bunte Litzen auffasert. Oder wie wenn man einen Lichtstrahl dabei beobachtet, wie er durch ein Prisma fällt und in die Spektralfarben zerlegt wird. Das sind plumpe Assoziationen, ich weiß. Sie sollen auch keineswegs Susanne Ackermanns Malereien metaphorisch umschreiben. Sie wollen lediglich das Moment des Analytischen hervorheben, das ihren Werken innewohnt.
Dieses Moment des Analytischen erinnert daran, dass Farbe nicht nur in punkto Markenschutz (Sparkasse vs. Santander) oder hinsichtlich patriotischer Gefühle (die gelb-blauen Duftspüler) ein problematisches Terrain darstellt. Das Thema Farbe wirft per se, ohne den ökonomischen, juristischen oder kulturellen Kontext genügend Fragen auf. Wie gesagt: Farbe hat es in sich - und eben doch nicht, denn Farbe ist nicht greifbar, nicht fassbar, sie ist auch keine feste oder verlässliche Eigenschaft. Wie Farbe zu definieren sei, hat Physiker und Philosophen immer wieder beschäftigt. Da ist etwa die Abhängigkeit des Farbeindrucks von den Lichtverhältnissen. Sie alle kennen Beispiele: Bei Sonnenuntergang glühen die schneebedeckten Alpengipfel feuerrot, dafür sind nachts alle Katzen grau. Am nächsten Morgen mag es gerade umgekehrt sein: Katzen mit rötlichem Fell, Schnee, der grau wirkt, weil der Himmel bedeckt ist und düster. Machen Sie die Probe aufs Exempel: Schöpfen Sie Wasser aus dem Blautopf bei Blaubeuren, aus der "schönen blauen Donau" oder aus der Blauen Grotte von Capri. Das Wasser wird vielleicht nicht glasklar sein, aber farblos und sicher nicht blau.
Die Implikationen, die im Zusammenhang mit dem Thema Farbe stehen, benennt Susanne Ackermann in ihren Bildern nicht. Ihre Malereien sind keine Erörterungen farbtheoretischer Probleme. Aber Ackermann sensibilisiert dafür, Farbe nicht als einfachen Sachverhalt oder als selbstverständlich anzusehen. Das gilt gerade auch für ihre eigenen Arbeiten. Einige von ihnen setzen sich aus kurzen, annähernd rechteckigen breiten Pinselgesten zusammen. In ihrer Farbigkeit unterscheiden sie sich deutlich von den dynamischen, in weit ausholenden Bögen realisierten Malereien. Hier rücken offenbar gebrochene Töne in den Vordergrund – Ocker, Umbra, gebranntes Siena. Doch die Farben, bei denen es sich vermeintlich um Erdpigmente handelt, basieren auf der gleichen schmalen Palette wie all die anderen Farbnuancen, die Ackermann in ihren Werken aufscheinen lässt. Außer Weiß, das als Eigenwert zu betrachten ist, benutzt die Malerin lediglich sieben Farben: Rot, Gelb, Blau, Orange, Grün, Türkis, Violett. Auf Grundlage dieser sieben bildet sie oder bilden sich die unterschiedlichsten Kombinationen – Töne und Zwischentöne, die dann manchmal sogar den Eindruck erwecken, sie seien aus umbrischen oder toskanischen Erden gewonnen.
Dass sich Ackermann auf eine stark reduzierte Farbauswahl stützt, hängt mit einem weiteren Wesenszug oder besser: methodischen Grundsatz ihrer Arbeit zusammen. Das Prinzip, dem sie mit aller Konsequenz folgt, lautet: vom Einfachen zum Komplexen. Am Anfang sind da sieben Farben plus Weiß. Aber indem diese Farben geschichtet, gemischt, gekreuzt werden, formiert sich eine wachsende Zahl ineinandergreifender Abstufungen, deren Vielfalt irgendwann dermaßen differenziert ist, dass die Sprache mit einfachen Bezeichnungen nicht mehr weiterkommt. Sie muss Anleihen nehmen: etwa bei der Botanik, der Mineralogie oder den Tageszeiten, um Mischungen zu umschreiben, die man Fliederfarben, Schiefergrau oder Nachtblau nennen könnte. Wenn die Differenzierung fortschreitet, werden zusätzliche Hilfsmittel nötig; man würde dann vielleicht von blassem Flieder, milchigem Schiefergrau oder dumpfem Nachtblau sprechen.
Am Anfang steht das Einfache, doch je mehr von diesen grundlegenden, elementaren Einheiten aufeinandertreffen, desto größer die Eigendynamik, und es bilden sich Formen oder Strukturen heraus, die wohl in ihrer Tendenz, nicht jedoch in ihrer endgültigen Ausprägung vorhersehbar waren. Das ist bei den Malereien zu beobachten, betrifft aber genauso die Zeichnungen. Dort allerdings geht Susanne Ackermann auf divergierenden Wegen vor. Da sind zum einen Blätter, bei denen sie gänzlich auf Farben verzichtet und ausschließlich mit dem Graphitstift arbeitet. Mit leichtem, weichem, schwingendem Strich zeichnet sie eine Art Urzelle, an die sie - wieder mit dem gleichen, leichten Schwung - nahtlos die nächste kleine Zeichnung anfügt und so weiter, bis die Summe der allmählichen Anlagerungen eine eigene, zwar grosso modo angepeilte, aber im Endergebnis nicht geplante Gestalt annimmt.
Der zweite Typus von Zeichnungen ähnelt von der Methode her den Malereien. Ackermann beginnt mit drei parallelen Strichen, die sie mit dem Graphitstift zieht. An sie knüpft sie unmittelbar mit drei weiteren parallelen Linien an - diesmal mit einem Farbstift. Gleiche Länge, gleicher Abstand. Dann dito mit Farbstift. Dito mit Graphit. Mit Farbstift, mit Graphit und so fort, bis sich ein Band über das gesamte Blatt schlängelt. Nun geht das Ganze an anderer Stelle von Neuem los, und noch mal, und noch mal: Irgendwann überzieht ein wogendes, schwebendes Flirren wie ein Schwarm Teile des Blatts.
Aus den vielen Kleinen erwächst etwas Großes das eigene Kontur und Bedeutung gewinnt: Das ist das Prinzip, nach dem Susanne Ackermann in ihren künstlerischen Arbeiten vorgeht. Damit aber weist sie weit über die Kunst hinaus. Ist doch dieses Prinzip auch in anderen Zusammenhängen virulent: Wassertropfen verdunsten zu Wolken, viele kleine, lokale Herde des Unmuts und der Unzufriedenheit verdichten sich zu Rebellionen, die ganze Staaten oder Regionen erfassen.
Höchstwahrscheinlich kommen Ihnen, verehrte Damen und Herren, liebe Freunde sofort vergleichbare Fälle in den Sinn. Möglicherweise ist ja sogar der eingangs erwähnte Rechtsstreit nach ebendiesem Muster eskaliert. Ich muss, wenn Sie bitte erlauben, am Ende meiner Ausführungen auf diesen Streit zurückkommen, und zwar weil sich hinter jener Auseinandersetzung eine auch für den heutigen Anlass folgenschwere Botschaft verbirgt. Dazu muss man wissen, dass der Konflikt, der bis vor den BGH getragen wurde, keineswegs um ein und dasselbe Rot entbrannt ist. Das Rot des einen Finanzinstituts ist mit dem Rot des anderen durchaus nicht identisch. Die Sparkassen verwenden ein Rot, das auf der HKS-Skala4 mit der Ziffer 13 belegt ist, also HKS 13. Santander hingegen setzt auf HKS 14. Die Klage beruhte nun auf der Sorge, das Rot der einen Partei könnte mit dem Rot der anderen Partei verwechselt werden. Dieses Argument greift freilich nur unter einer Prämisse. Der Hinweis, HKS 13 und HKS 14 könnten verwechselt werden, unterstellt einen Mangel an visuellem Differenzierungsvermögen. Damit aber zeigt sich, wie wichtig Ausstellungen sind wie diese hier bei den Freunden junger Kunst. Denn: Sollte es Ihnen, sehr geehrte Damen, Herren, liebe Freunde, bislang an der Fähigkeit gemangelt haben, feine Farbunterschiede zu erkennen (was ich partout nicht glaube), dann erleben Sie hier, in den Malereien und Zeichnungen von Susanne Ackermann eine im mehrfachen Wortsinn eindrucksvolle Schule der Sensibilisierung und Differenzierung - zwei Eigenschaften, die nicht nur beim Umgang mit Farben hilfreich sind.
ANMERKUNGEN:
- Markus Ruttig et al.: Farbmarkenstreit zwischen Santander uund Sparkasse: Zwei Farben: Rot, Legal Tribune Online, www.lto.de/ zuletzt aufgerufen 15.05.2016
- Telekom mahnt Weblog ab (iba/dpa), Der Tagesspiegel, 02.04.2008, /www.tagesspiegel.de/ zuletzt aufgerufen 15.05.2016
- Kurze Meldungen (ud.), Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.08.2013, S.8 4 HKS = Hostmann-Steinberg Druckfarben, Kast + Ehinger Druckfarben und H. Schmincke & Co Weitere Literatur: Timm Lampert: Zur Wissenschaftstheorie der Farbenlehre, BoD 2000; Friedrich Kreißl/Otto Krätz: Feuer und Flamme, Schall und Rauch, Weinheim 22008