Rede zur Einführung von Pit Klein
Frank Lippold wurde 1970 in Greifswald geboren. Nach seiner Ausbildung zum Werkzeugmacher studierte er an der Hochschule für bildende Künste in Dresden und schloss das Studium als Meisterschüler ab. Zahlreiche Einzel- und Gruppen-ausstellungen sowie Stipendien prägen seinen Weg. Für einige Baden-Badener ist Lippold kein Unbekannter. Der Künstler kam bereits 2014 als Baldreit-Stipendiat in den Genuss einer städtischen Kulturförderung. Nach Ablauf dieser Zeit kehrte Frank Lippold wieder zurück nach Schloss Scharfenberg bei Dresden, aber im Grunde nur, um dort seine Zelte abzubrechen und ganz nach Baden-Baden überzusiedeln.
Rede von Pit Klein zur Eröffnung der Ausstellung, gehalten am 10.12.2017:
Frank Lippold ist kein Holzschneider im traditionellen Sinne. Er ist ein Sperrholzschneider. Er bearbeitet kein Stück Massivholz mit verschiedenen Schnitzmessern, unter denen der dreieckige Kuhfuß sehr verbreitet ist. Er hat ganz einfache Messerchen, die so einfach sind, dass er selber gar nicht mal genau weiß, wie die fachlich bezeichnet werden. Mit einem davon kann er punktfein arbeiten, mit dem anderen beseitigt er breitere Späne, und mit dem Cutmesser und einem Lineal zieht er feine scharfe Linien. Der Sperrholzschneider Lippold schneidet und schnitzt sich auch nicht mehrere korrespondierende Bildstöcke zurecht, auf die er dann seine Farben streicht und walzt, und er macht von Bildstöcken und Farben auch keine Abzüge auf Papier, sondern er verwandelt die Sperrholzplatte selbst in Kunst und platziert diese nebeneinander, übereinander oder gegenüber, an der Wand oder auf dem Boden.
Gefragt, wie er das, was er da macht, im aktuellen Kunstgeschehen beschreiben würde, mit Worten, sagt er:
Es ist rätselhaft, wenn man das verbalisiert ... Wenn mir jetzt jemand gegenübersitzt, bei einer wichtigen Ausstellungseröffnung. Und ich soll dem dann erklären, was ich mache, komm' ich da einfach nicht durch.
KunstkritikerInnen müssen da durch. Also vermuten sie bei Lippold, dass er mit der Ambivalenz visueller Informationen spiele. Der Holzschnitt QR aus dem Jahre 2010 weist der Wahrnehmung des Betrachters den Weg, anscheinend. QR sieht aus wie ein Teppich, ist also haptisch das Sperrholzbild von einem Teppich. Aber QR ist auch ein Code, der in der Logistik Speditionsgüter markiert und so identifizierbar macht. Der Betrachter von QR kann also haptisch den Teppich sehen, gleichzeitig aber auch an die Immaterialität eines digital generierten Codes denken. Jeder Einschnitt in die Bildplatte entspräche dabei einem Pixel. Als Veranschaulichung, meint Lippold, sei das schon richtig, aber als er gelegentlich einer Ausstellungseröffnung gefragt wurde, ob er Pixel in's Sperrholz schneide und zugestimmt habe, da sei das auch in soner Hilflosigkeit gewesen. Er habe alle Menschen, die er so kennt, gebeten, ein Stichwort für das zu finden, was er an Kunst macht. Stichworte, die man so braucht, irgendwie. Weil man die in einen Kontext stellen könne. Z. B: Ja, ich liebe japanische Holzschnitte. Blablabla. Dann würden es wieder alle verstehen. Aber so ises nicht. Frank Lippold ist Künstler in Baden-Baden 2017, und die damit verbundene Ausstellung heißt Schwarze Zahlen. Das ist keine Anspielung auf Vorgänge auf den Finanzmärkten. Aber: Gibt's weiße Zahlen? Nee, weiße Elefanten gibt's. Dann ist es schon eher so, wie ein Kunstkritiker meint, der sich sehr intensiv mit Lippold beschäftigt hat (Velten Wagner), dass es materielle Konstruktionen aus dem Abgrund des Digitalen sind. Dem stimmt Lippold zu, und er ergänzt: Es könnten auch irgendwelche Schrotthaufen sein aus digitalem Datenmüll ... da spielt die Wahrnehmung des Betrachters auf jeden Fall ne Rolle. Also ist auch für Ihn, den Künstler, die schwarze Zahl nicht auszuschließlich der Abgrund des Digitalen? Antwort: Das kann ich nicht genau sagen. Die Frage ist berechtigt, aber ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob das Helle der Abgrund ist oder das Schwarze. Das weiß ich einfach nicht. Ich weiß auch nicht, ob das ein Abgrund ist, das Digitale.
Da der Kunst des Frank Lippold also das eigen ist, was eines der Wesensmerkmale von Kunst überhaupt ausmacht, nämlich das Rätselhafte und Geheimnisvolle, empfiehlt es sich, den Vorgang der Schöpfung des lippoldschen Kunstwerkes etwas genauer zu betrachten.
In diesen Zusammenhang gehört, wenn auch nur äußerst kurz, dass Lippold auch malt. Nicht auf Leinwand, nicht auf Papier und schon gar nicht auf Seide oder dergleichen, sondern auf Sperrholz. Die Formate sind zwar wesentlich kleiner, aber er trägt seine Farben auf Sperrholz auf. Und dabei kann passieren, dass in einem Bild, das eigentlich ein Portrait ist, eine Kröte auftaucht, tatsächlich oder im übertragenen Sinne. Die Pinsel, mit denen er seine kleinen Sperrholzbilder gemalt hat, drückt er häufig auf den großen Sperrholzplatten, die noch unbearbeitet sind, aus. Auf denen sind dann in der Mitte, oben oder unten, an einer Seite, egal wo, einer oder mehrere, große oder kleine bunte Farbkleckse.
Die Sperrholzplatten hat Lippold sich in einem Baumarkt besorgt. Sie bestehen aus mindestens drei gegeneinander versetzten und verleimten Holzlagen. Seine Platten sind meistens 6mm stark, also 3 Lagen. Die Hölzer sind z.B. Kiefer, Ahorn, Lärche oder Fichte. Buche und Eiche erschweren das Schneiden und Schnitzen. Bei diesen harten Hölzern haftet der Span, der raus gezogen werden muss, noch ziemlich fest. Lippold nimmt ein Standardholz. Das ist weicher, und da hat die oberste Lage eine rötliche und die zweite eine gelbliche Tönung. Am meisten reizt ihn der rötliche Ton, aber der gelbliche, dieser blonde Klang, ist auch mal schön. Er bevorzugt Sperrholzplatten, die 1 Meter 22 hoch und 2 Meter 44 breit sind. Die kann er so lassen wie sie sind, also Rechtecke, oder zwei Quadrate daraus machen und diese wiederum hängen und stellen, wie er will. Er bearbeitet die Sperrholzplatten im Atelier oder im Freien. Das jeweilige Motiv darf nur nicht zu weit weg sein. Und das Wetter muss stimmen. Die Platten liegen mit der Furnierseite und den Farbklecksen, so sie denn vorhanden sind, nach oben. Dann streicht Lippold die gesamte obere Seite monochrom und satt deckend ein: mit Blau oder Rosa, am häufigsten aber mit Schwarz. Und dann kniet er nieder und greift zu Messerchen und Lineal. Er hat keinen Bleistift, er zeichnet sich nichts vor. Er schneidet in die weite rosa oder blaue, meist aber schwarze Fläche hinein und macht sich auf die lange Suche nach einem Bild, das aus meist schwarzem Nichts, bunten Farbklecksen darunter und roten und gelben Farbtönen des Sperrholzes unter diesen besteht. Er schneidet nicht sehr tief. Tut er es doch, also 4mm, ist er schon in der 3. Sperrholzlage. Er sagt: Das sieht dann sehr zerstört aus ... wie ne Verletzung ... Das kann aber stimmig sein. Korrekturen hat er sich lange Jahre nicht gestattet, inzwischen ist er da etwas großzügiger sich gegenüber geworden. Um das Nichts in ein Bild, einen spannenden Körper zu verwandeln, braucht Lippold schöngeredet zweieinhalb Monate. Mit 10 Sperrholzplatten ist er 2 Jahre vollkommen beschäftigt. Während dieser Beschäftigung weiß er nie genau, wo unter der überwiegend schwarzen Deckfarbe die farbigen Flächen der ausgedrückten Pinsel liegen. Das will er auch nicht unbedingt wissen. Er lässt sich überraschen: Das such ich auf keinen Fall in den Griff zu kriegen ... Dann ist es genau die Verlockung, die mich reizt. Und indem er dieser Verlockung nachgibt, also auch spontanen Reaktionen nicht abgeneigt ist, weiß er doch sehr genau, an welcher Kunstschöpfung er da arbeitet und worauf er achten muss: Das hat zunächst noch gar nichts mit dem Bild zu tun. Es ist zunächst das Verfahren, der reine Vorgang des Schneidens und Schnitzens. Sodann hat eine Sperrholztafel, das Medium, ganz spezifische Eigenschaften, hinzu kommen die verschiedenen Farben, die er darauf gestrichen hat. Das Schwarz ist ganz entscheidend für die Geometrie, die auf seinen Bildtafeln so dominierend sein kann, dass sie abstrakt bleiben können. Das Motiv, so sagt er, also das, was für viele Betrachter das Wesentliche des Bildes ist, will verführen, will sensationell sein. Deshalb spielt es für ihn während des gesamten Arbeitsvorgangs erst dann eine Rolle, wenn es wirklich dran ist. Wenn er sich entscheiden muss, ob da jetzt ne Kuh hin soll, aber die Kuh ist besetzt durch einen nicht ganz unbekannten Kunstprofessor, oder ein (siehe Katalog) roter Eimer oder, aus gegebenem Anlass, eine Kröte: Genau, ne Kröte wär eigentlich der Schlüssel zum Glück. Hat er sich für ein Motiv entschieden, will er genau wissen, zumindest ziemlich genau, was das über seine Person, den Schöpfer und dessen unzerstörbaren Kern aussagt, und schließlich möchte er sich über den Kontext im Klaren sein. Wo steht das in der Welt? Ist das bloß Quatsch? Privatkosmos?
Wo das für den Kunstkritiker Velten Wagner steht, kann das folgende, sinngemäße Zitat verdeutlichen. Kann, muss nicht: Lippold hat das digitale Zeitalter mit seinen Bits und Bytes vor seinem inneren Auge, wenn er das Sperrholz bearbeitet. Die Übertragung dieser zeitgenössischen Wahrnehmungsästhetik auf den Sperrholzschnitt, die spannungsgeladene Durchdringung des Haptischen und des Virtuellen kennzeichnen Lippolds Position im aktuellen Kunstgeschehen. Lippold ist für diesen Kritiker kein Naturnachahmer, sondern ein Künstler in dessen Naturfläche die Erfahrungen, die er mit Zerfall und Widerstreit seiner Zeit macht, das Naturschöne abtöten, um die reine ästhetische Form von ebendiesem Naturschönen zu befreien. Dem kann Lippold zustimmen: Also, das hab ich noch nicht so gesehen, aber das finde ich gut.
In den Informationen eines großen Baumarktes steht über Sperrholz unter anderem: Die Sperrholzeigenschafen sind ebenso breit gefächert wie die Anwendungsgebiete. Ist das Sperrholz wasserfest imprägniert, kann es auch imAußenbereich oder im Bootsbau verwendet werden. Das relativ geringe Gewicht prädestiniert es für den Innenausbau, für Dach- und Betonschalungen, für Bekleidungen von Decken usw., usw.
Kein Wort über die Anwendung beim Herstellen von Kunst. Wie ist Frank Lippold auf den Sperrholzweg geraten? Antwort:
Sagen wir so: Ich habe natürlich einen ... künstlerischen Anspruch. Und der sei sehr hoch. Da brauche er nicht auch noch ein Medium, ein Material, das diesen Anspruch auflädt. Daran hätte er viel zu schwer zu tragen. Also nehme er Sperrholz: Und Sperrholz ist ne vertraute Größe, kennt ja jeder. Ein Medium ohne jeden künstlerischen Anspruch ...
Diesen Anspruch stellt ganz allein er, und er stellt ihn so intensiv, dass sogar ein Medium wie Sperrholz ihm gerecht wird, werden muss. Da lässt er nicht locker. Er gehört schließlich zu denen, die von einer gewissen schweren Sehnsucht im Leben geschlagen sind und es überhaupt nicht mögen, wenn sich einer auf ne ganz flapsige Art aus der Affäre zieht. Und solches und ähnliches immer vor Augen habend, macht er sich schneidend und schnitzend auf die Sperrholzwege in die farbigen Flächen seiner Holzplatten. Fläche ist ohne Raum für ihn. Raum ist Illusion für ihn. Und Illusion ist Lüge. Er bleibt in der Fläche. Ikone ist und bleibt Fläche, also nicht Lüge. Und in der Fläche, die niemals lügt, kreuzen, wenn Lippold es will, Kröten auch Sperrholzwege.
Für den Katalog hat Pit Klein das folgende Vorwort geschrieben:
Es kann nicht schaden, den Künstler Frank Lippold sprechen zu hören: über das, was er macht und wie er das macht, und er weiß sogar, warum er das macht. Er stellt sich auch Fragen. Z.B. zu dem, was dabei heraus kommt: Wo steht das in der Welt? Ist das bloß Quatsch? Oder was? Privatkosmos? Sein unüberhörbar sächsischer Tonfall müsste jedem Versuch, ihn und seine Kunst im sphärischen Wolkenkuckucksheim anzusiedeln, einen Riegel vorschieben, aber auch Kunstbetrachter und Kunstkritiker sind frei. Und ihren Interpretationen sind keine Grenzen gesetzt. So steht in dem Katalog Das neue Schwarz eine überaus gewissenhafte Auseinandersetzung mit der Holzkunst des Frank Lippold von Velten Wagner, in der sich dieser wiederum auf einen anderen Katalogtext bezieht: Hier war offensichtlich kein Naturnachahmer am Werk, sondern ein Künstler, der den Landschaftsraum als Reflexionsraum thematisierte, 'in welchem zeitgenössische Erfahrungen der Dissoziation und des Widerstreits das Naturschöne zugunsten der Befreiung der ästhetischen Form mortifizieren', wie es Christoph Tannert...trefflich auf den Punkt brachte. Mit dieser nicht ganz unkomplizierten, aber durchaus zutreffenden Beurteilung seiner eigenen Kunst konfrontiert und um eine Erklärung gebeten, gesteht Lippold freimütig: Natürlich kann ich das überhaupt nicht erklären. Schon allein der Begriff Dissoziation, da wär ich nicht ganz sicher, was damit gemeint ist...
Frank Lippold ist kein Holzschneider im traditionellen Sinne. Er bearbeitet nicht eine Platte aus Massivholz mit diversen Schnitzmessern, walzt oder streicht eine oder mehrere Farben drauf und macht dann von diesem Bildstock (Holzstock, Druckstock) Abzüge. Z.B. auf Papier. Er schnitzt sich auch nicht ein, zwei, drei korrespondierende Bildstöcke zurecht und zieht diese, meist mehrfarbig, zu Holzschnitten ab. Die Technik des Holzschnittes dient der Vervielfältigung eines Kunstwerkes, damit es als Unikat bzw. Original nicht einsam und alleine und daher oft unbezahlbar bleibt, sondern als eines von fünfzig oder hundert bezahlbar wird und unter die Leute kommt. An diese Holzschnittregeln, so es denn welche sind, hält sich Frank Lippold nicht: Er bearbeitet kein Massivholz, sondern Sperrholzplatten, und er macht davon auch keine Abzüge, sondern er verwandelt die Platten als solche in Kunst. Diese Kunst ist ein Unikat, aber als solche weder ein Holzschnitt, noch ein Relief noch eine Skulptur, sondern ein Sperrholzschnitt, der nicht als Bildstock dient, von dem Abzüge gemacht werden. Dieser Sperrholzschnitt ist das Kunstobjekt selbst, und das so was möglich ist, hat nichts mit Hokuspokus, wohl aber mit der Fähigkeit des Künstlers Lippold zu tun, den Betrachter zu verzaubern.
Und das macht er so: Er geht in einen Baumarkt und holt sich Sperrholzplatten. Die bestehen aus mindestens drei gegeneinander versetzten und verleimten Holzlagen: Meine Platten sind 6mm stark, also 3 Lagen. Die Hölzer sind z.B. Kiefer, Ahorn, Lärche oder Fichte. Buche und Eiche behindern die Arbeit sehr: Wenn man den Span rauszieht, haftet der noch ziemlich fest. Er nimmt also ein Standardholz. Das ist weicher, und da hat die oberste Lage eine rötliche und die zweite eine gelbliche Färbung: Dieser gelbliche, dieser blonde Klang, ist auch mal schön, kann man mal so einbauen, aber insgesamt ist es eigentlich immer dieser rötliche Ton, der mich da reizt. Die Sperrholzplatten sind am liebsten 1 Meter 22 hoch und 2 Meter 44 breit. Die kann er so lassen oder zwei Würfel draus machen, und die wiederum kann er beliebig platzieren: an der Wand, auf dem Boden, nebeneinander, übereinander oder gegenüber.
Die eigentliche Arbeit findet auf dem Boden statt. Da liegt die Sperrholzplatte mit der Furnierseite nach oben. Und Lippold kniet auf ihr drauf: Ich bin immer auf'm Boden. Das ist aber sehr angenehm. So körperlich ist das schön. Manchmal hat er bereits vorher auf der Sperrholzfläche Pinsel mit allen möglichen Farben ausgedrückt. Einfach so. Farben, die er von nicht geschnitzten, sondern von auf Sperrholz gemalten Bildern übrig behalten hat. Die gesamte obere Seite der Sperrholzplatte, ob mit oder ohne Farben, streicht er dann monochrom und satt deckend ein: manchmal mit Blau und Rosa, aber sehr häufig mit Schwarz. Und dann macht er sich mit drei Messerchen und einem Metalllineal auf die Suche nach dem Bild: Ich hab ganz einfache Messer. Weiß gar nicht, wie die fachlich bezeichnet werden. Es ist kein Kuhfuß, der ist dreieckig, sondern es ist rund. Mit dem einen Messer kann er punktfein arbeiten, mit dem anderen breitere Späne beseitigen, und mit dem Cutmesser und dem Lineal kann er feine, scharfe Linien ziehen: Ich liebe das. Also auch diese Präzision. Eine Vorzeichnung mit Bleistift macht er nicht: Nee, nichts. Das ist das Reizvolle, dass es in dieses Schwarz so reingeht. In den großen Bildraum. In dem noch das große Nichts vorherrscht: ein Schwarz, das noch andere Farben und drei verschiedenfarbige Holzlagen zudeckt. Um dieses Nichts in einen spannenden Körper zu verwandeln, braucht Lippold schöngeredet zweieinhalb Monate. Mit 10 Sperrholzplatten ist er zwei Jahre vollkommen beschäftigt. Hat er auf einer Platte mal wieder Pinsel von seiner Malerei zu bunten Farbflächen ausgedrückt und danach mit Schwarz zugedeckt, dann kann er nur noch ungefähr wissen, wo unter dem Schwarz jetzt die farbige Fläche ist: Da lass ich mich überraschen. Das suche ich auf keinen Fall, in den Griff zu kriegen...Dann ist es genau die Verlockung, die mich reizt. Er könnte auch einfach die bunte Farbe wegschneiden und den darunter liegenden Farbton des Holzes hervorholen, aber das macht er nicht so gerne: Ich arbeite lieber mit dem Angebot. Er schneidet nicht sehr tief. 2 mm, 3mm, manchmal 4 mm, manchmal nur 1 mm. Aber bei 4 mm ist er schon in der 3. Sperrholzlage: Dann ist es auch wirklich so wie ne Verletzung. Das sieht dann sehr zerstört aus. Das kann aber stimmig sein. Frank Lippold sperrholzt abstrakt und gegenständlich, und manchmal schlägt in ein gegenständliches Landschaftsmotiv eine abstrakte Gebäudekonstruktion wie ein Blitz ein: Die Abstraktion dient der Konzentration auf Vorgang und Medium. Er richtet sein Hauptaugenmerk zunächst auf den Vorgang, also das Ritzen, Schneiden und Schnitzen, und er will, dass auch der Betrachter das tut. An das Motiv, z.B. einen roten Eimer, denkt er noch überhaupt nicht. Dann ist das Medium für ihn wichtig, das Sperrholz und die Farbe. Und er gibt beiden Medien, was das ihre ist, aber noch keinen roten Eimer. Auch der Bildgeometrie gestattet er ihre Eigenständigkeit, ohne den roten Eimer. Der kommt erst zum Schluss in Lippolds Kunstspiel, verführt dann aber den Betrachter geradezu und lenkt von allem andern ab. Schließlich spielt auch der Künstler selbst eine nicht unwichtige Rolle für das Kunstwerk, denn er vermittelt zwischen den verschiedenen Schnittstellen wie dem Schneidevorgang, dem Sperrholzmedium und dem Bildmotiv und bildet dessen unzerstörbaren Kern. Und, siehe oben, wo steht das in der Welt? Ist das bloß Quatsch?
Wie wenig das Quatsch ist, mag schon die eingangs zitierte Kritikeraussage belegen, die in Lippold keinen Naturnachahmer am Werk sieht, sondern einen Künstler, in dessen Naturraum bzw. Naturfläche die Erfahrungen, die er mit Zerfall und Widerstreit seiner Zeit macht, das Naturschöne abtöten, um die reine ästhetische Form von ebendiesem Naturschönen zu befreien: Also, das hab ich noch nicht so gesehen, aber das finde ich gut.
Frank Lippold, wenn er nicht mit System in großformatigen Sperrholzplatten rum schneidet und schnitzt, malt auch. Auf Sperrholz. Die Formate sind zwar wesentlich kleiner, aber sie sind aus Sperrholz. Er hat eine Zeit lang auf Schloss Scharfenberg bei Dresden gelebt, und einige seiner Motive könnten aus diesem Lebensraum kommen: z.B. Madonnenbilder oder eine Serie von bunten Vögeln: Malen ist ein ganz anderes Medium als Schnitzen: beweglich, farbig. Son Gesicht ist was ganz anderes als son Steinhaufen...Das passt auf irgend ne Art auch wunderbar zusammen... Das erfrischt sich gegenseitig kolossal. Das ist verblüffend. Nicht wenige Betrachter seiner Bilder entdecken darin allerdings auch irritierende Momente. Obwohl das Bild eigentlich ein Portrait ist, taucht darin eine Kröte auf. Und der Betrachter ist verunsichert: Das Ergebnis kann durchaus verunsichernd sein, ist aber nicht mit Anstrengung gewollt. Das Verunsichern und das Irritieren beschäftigen den Künstler Lippold überhaupt nicht. Eher schon zerbricht er sich den Kopf darüber, warum es so wenige gute Bilder gibt: Es gibt also wirklich einen ungeheuren Bildermangel an guten Bildern. Ich sag das jetzt mal etwas größenwahnsinnig, dass ich das irgendwie sehe. Also sieht er auch, um beim Beispiel zu bleiben, dass dem Portrait zu einem guten Bild noch etwas fehlt: eine Kröte: Genau, ne Kröte wär eigentlich der Schlüssel zum Glück. Lippold sagt, er sei von einer gewissen schweren Sehnsucht geschlagen im Leben und mag es überhaupt nicht, wenn sich einer auf ne ganz flapsige Art aus der Affäre zieht. Aber: Es ist nicht gesagt, dass man sich viel Mühe gibt, und dann wird das auch gut. So ist das überhaupt nicht.
Frank Lippold ist Künstler in Baden-Baden 2017, und die damit verbundene Ausstellung heißt Schwarze Zahlen. Das hat nichts mit aktuellen Vorgängen auf den Finanzmärkten zu tun, sondern mit dem Geometrischen in seiner Kunst. Und außerdem: Gibt's weiße Zahlen? Nee, weiße Elefanten gibt's. Das Schwarz und das Geometrische haben zu vielen Spekulationen Anlass gegeben. So vermutet der bereits erwähnte Velten Wagner, dass Lippold das digitale Zeitalter mit seinen Bits und Bytes vor seinem inneren Auge hat, wenn er das Sperrholz bearbeitet: Die Übertragung dieser zeitgenössischen Wahrnehmungsästhetik auf den traditionellen Holzschnitt, die spannungsgeladene Durchdringung des Haptischen und des Virtuellen kennzeichnen Frank Lippolds Position im aktuellen Kunstgeschehen. Abgesehen davon, dass hier mit Zustimmung des Künstlers festgestellt worden ist, dass er keine traditionellen Holzschnitte macht, hat diese Charakterisierung etwas rätselhaft Richtiges: Es ist rätselhaft, wenn man das verbalisiert...Wenn mir jetzt jemand gegenübersitzt, bei einer wichtigen Ausstellungseröffnung, und ich soll dem dann erklären, was ich mache, komm ich da einfach nicht durch. Lippold selbst hat allerdings mal davon gesprochen, dass es Pixel sind, die er da in's Sperrholz schneidet und schnitzt: Ja, aber auch in soner Hilflosigkeit...
In den Informationen eines großen Baumarktes steht über die Anwendungsmöglichkeiten von Sperrholz: Die Sperrholzeigenschaften sind ebenso breit gefächert wie die Anwendungsgebiete. Ist das Sperrholz wasserfest imprägniert, kann es auch im Außenbereich oder im Bootsbau verwendet werden. Das relativ geringe Sperrholzgewicht prädestiniert es für den Innenausbau, für Dach- und Betonschalungen, für Bekleidungen von Decken sowie für den Aufbau von Sperrholztreppen, Türen, Wohnmöbeln oder Fußböden. Außerdem nutzt der Fahrzeugbau Sperrholz, basteln lässt sich mit Sperrholz ebenfalls hervorragend, und es kann auch als Verpackungsmaterial dienen.
Vom Holzschnitt und vom aktuellen Kunstgeschehen, von der Befreiung der ästhetischen Form und von Frank Lippold - kein Wort. Und ganz ohne Zweifel denkt kaum jemand, der das Wort Kunst hört, zuallererst und immer wieder und an nichts anderes als an Sperrholz. Außer Frank Lippold. Er ist ein Künstler, der auf den Sperrholzweg geraten ist.
Wie geht das?:
Sagen wir so: Ich habe natürlich einen... künstlerischen Anspruch. Einen sehr hohen. Und da braucht er ein Material, das diesen Anspruch nicht auch noch auflädt. An einem Material, also an einem Medium, das diesem Anspruch gerecht würde, hätte er viel zu schwer zu tragen: Und Sperrholz ist ne vertraute Größe, kennt ja jeder. Ein Medium ohne jeden künstlerischen Anspruch... Und das ergibt ne ganz angenehme Arbeitstemperatur. Sozusagen aus meinen hohen Schlossetagen herabzusteigen in son ganz normales Medium...
Pit Klein