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Klaus Gallwitz: "Evas Schwestern"

Sie sind über die ganze Welt verteilt, aber einige mehr kenne ich jetzt mit Namen, weil ihnen Eva Schaeuble Gesicht, Gestalt und Farbe gegeben hat. Damit wir mit ihnen nähere Bekanntschaft machen können, stellt sie uns ihre Schwestern auch namentlich vor. Es sind: Victorine, Eva Gonzales, Berthe, Marcello, Suzanne und Mary Cassat. Ihre Ähnlichkeit mit unserer Eva ist unverkennbar und zweifellos beabsichtigt. Wundert es, dass alle Genannten den künstlerischen Beruf ergriffen haben und ihn mit Leidenschaft vertraten? Sie sind ganz aus unserer Zeit, auch wenn sie aus dem vorletzten Jahrhundert kommen. Dort hat sie Eva aufgegriffen und sich als ihre Schwester erkannt. Man darf sie zu dieser Entdeckung beglückwünschen. Sie lebt nun schon länger mit ihnen, unternimmt mit der einen oder anderen gemeinsame Ausflüge, schätzt ihre besonderen Eigenschaften und teilt ihre Vorlieben. Sie hilft ihnen bei der Wahl ihrer Garderobe und Frisuren und setzt ihnen die Hüte auf, die sie gut kleiden. Sie lieben den gemeinsamen Auftritt mit einer Prise Selbstironie: «Heldinnen wie wir».

 

Victorine Meurent (1844 – 1927), das Modell Edouard Manets, steht ihr seit vielen Jahren am nächsten. Im Kostüm der Stierkämpferin, der Torera, sieht sie am besten aus. Das weiß sie auch, denn sie hat bei Manet ihr Vorbild gefunden, ihr alter ego. Sie ist am längsten an Evas Seite «la jeune Victorine» und nun – wir merken es kaum – «la vieille Victorine», ein wenig mehr Schatten auf den Gesichtszügen und den erfahrenen alten Andreas Gryphius als Souffleur: «... Die Schönheit  ist wie Schnee, dies Leben ...». Ihr allein hat Eva auch einen Bolero aus bemalter Keramik zugedacht, den „Traje de luces“ und verzierte Schuhe und Handschuhe. Sie ist die Lieblingsschwester. Und dann natürlich die kluge und schöne Berthe, Freundin der Impressionisten und die berühmteste unter  den Malerinnen ihrer Generation in Paris: Berthe Morisot (1841 – 1895). Bei unserer Eva läuft sie unter «Berthe und  die anderen», will sagen, ihr gebührt eine Vorrangstellung,  sie ist prima inter pares. Wir betrachten die um wenige Jahre jüngere, im Kindbett verstorbene Eva Gonzales (1847 – 1883), die einzige unter den Schwestern, die wie unsere Eva auf denselben Namen hört, begabte Tochter eines Kupferstechers spanischer Abstammung und einer Musikerin aus belgischer Familie. «Der Hornist» war eines ihrer bekanntesten Bilder. Ihr folgt Marcello, so das von ihr angenommene Pseudonym. In der Kunstgeschichte verzeichnet unter Adèle d’Affry (1836 – 1879), ist sie eine der ersten jungen Frauen aus der Oberschicht, die sich als Bildhauerin aus ihrer Schweizer Heimat mutig nach Paris begab, um hier als Marcello ihre Karriere zu machen.  In der Pariser Oper steht die «Pythia», ihre berühmteste  Skulptur. Die Amerikanerin Mary Cassat (1844 – 1926)  ist wie Marcello selbstbewusst und unabhängig genug, um  sich in Paris als Malerin zu behaupten und die französischen Künstler ihrer Generation in amerikanischen Sammlungen und Museen heimisch zu machen. Schließlich Suzanne Valadon (1865 – 1938), die jüngste und vitalste unter Evas Schwestern, Tochter einer Wäscherin und Mutter eines Malers, hatte für  alle ihre schwierigen Lebenslagen die angemessene Antwort:  sie lernte sie zu beherrschen.

 

Liebe Schwestern unserer Eva, verzeiht diese schulmeisterliche Vorstellung. Eva hat einen ungleich passenderen Platz vorbereitet – in ihrer für Euch handgefertigten Hausbar in der Rotunde des Dampfbads in Baden­Baden, ein Ort, der zu seiner Zeit auch von Eurer Gegenwart inspiriert wurde. Pariser Luft. Da thront ihr nun, um Vasenlänge erhöht auf sechs Hockern und seid Geschichte und Gegenwart zugleich. Von großen und kleinen Sachen ist die Rede ringsum, also Palaver. Es sind  aber nicht nur die Wörter da, sondern auch die Sachen. 

 

Im Jahr 1973 gab es in Baden­Badens Kunsthalle eine  andere Bar. Die hatten die englischen Künstler Gilbert und George in einem der oktogonalen Räume eingerichtet. Es  handelte sich um das von Hand gezeichnete originalgroße Abbild des von den beiden Männern bevorzugten Pubs in London, vehement mit festen Strichen auf braungetöntem Papier mit Kohle porträtiert und auf vielen aneinander  gefügten Bahnen als Raum im Raume errichtet. Selbst die Decke mit ihren eingezogenen hölzernen Balken war nicht  vergessen. Am Tresen sah man lebensgroß die Konterfeis der beiden Künstler in Erwartung weiterer Gäste. Die Barhocker waren leer. Ob sich die junge Eva, die damals zu unseren  Ausstellungen herüberkam, erinnert? Heute sind Evas  Schwestern eingetroffen. Die Bar in der Rotunde ist besetzt.  Mit Gilbert und George rücken wir zusammen.

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