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Einführung in die Ausstellung am 27.05 von Dr. Antje Lechleiter

Fotografie, Malerei, Prozesskunst - diese Ausstellung mit Werken von Irene Hauger und Stefanie Hauger hat einiges zu bieten. Beginnen möchte ich mit Irene Hauger, die in dieser Ausstellung nicht nur mit neuen Gemälden, sondern auch mit Fotografien aus den 1970er, 1980er und 1990er Jahren präsent ist. Dies gibt uns die Gelegenheit zu prüfen, welche kreativen Prozesse der Dialog dieser unterschiedlichen Vorgehensweisen bei ihr ausgelöst hat.

 

Was macht das spezifisch Künstlerische dieser Fotografien aus? Es ist der individuelle Ausdruck der Fotografin, das heißt ihr Stil, ihr Konzept und ihre unverwechselbare Bildsprache. Sie sehen, in diesen Punkten unterschieden sich Malerei und Fotografie gar nicht so stark voneinander, überdies vermögen beide Kunstgattungen Fragen nach dem Wesen eines Bildes und dessen Bezug zur Realität zu stellen.

 

Man sieht diesen zwischen 1980 und 1990 in London entstandenen Aufnahmen von Punks an, dass der Künstlerin Authentizität wichtig ist. So handelt es sich weder um gestellte noch um beiläufig durchgeführte Aufnahmen. Eine intensive und emphatische Annäherung war Irene Hauger wichtig, sie sprach daher zuvor mit ihren Modellen, ließ sich ihre Geschichte erzählen und schenkte ihnen später einen Abzug ihrer Aufnahmen. Unabhängig von ihrer technischen Perfektion zeigt sich in den Fotografien überdies das Anliegen der Künstlerin, die Motive auf das Wesentliche - etwa auf einen ganz bestimmten Ausdruck oder eine besondere Situation - zu reduzieren. Übrigens handelt es sich hierbei um sog. Vintage-Fotografien, das heißt, dass die Bilder jetzt und für die Ausstellung unter der Aufsicht von Frau Hauger professionell von den alten Original-Negativen abgezogen wurden. Es gibt sie in einer sehr kleinen Auflage von zwei bis drei Exemplaren.

 

Wie wirkt sich nun die Beschäftigung mit der Fotografie auf ihre Gemälde aus? Ich denke, man sieht auch ihrer Malerei an, dass sie dazu bereit ist, ein Motiv zu fokussieren. Betrachten Sie nachher beispielsweise das Bild mit dem Raben und dem angeschnittenen Kürbis, dann bekommen Sie ein Gefühl dafür, wie durchdacht diese Kompositionen aufgebaut sind. Nichts wird dem Zufall überlassen. Irene Hauger weiß von Anfang an, wie das Bild werden wird. Bezeichnenderweise erzählte mir die Künstlerin in unserem Vorgespräch, wie sie etwa die Situation mit dem Hund entdeckte und zu sich sagte: "Dich krieg ich". Dieser Drang, ein Motiv zu packen, ist ja unmittelbar von der Fotografie her gedacht und in der Tat dienen oftmals Fotos als Ausgangspunkt für ihre Malerei. Diese werden aber natürlich nicht einfach abgemalt, nicht selten liegen mehrere Jahre zwischen der Aufnahme und dem Gemälde. Viele andere, etwa auf Reisen gewonnene, Eindrücke fließen als zusätzliche Ideengeber in die Komposition ein. All dies wird - zunächst - zu einer "schönen Malerei" zusammengefügt, doch dann geschieht das Wesentliche: Irene Hauger zerstört diese Malerei mit Vehemenz, das heißt mit breiten Spachteln und groben Rakeln. Ganz offensichtlich ist sie an einem Abbild der Wirklichkeit nicht interessiert, vielmehr rückt die individuelle Wahrnehmung, also das, was sie selbst als "authentisch" empfindet, ins Zentrum ihres Interesses. Die Gegenstandsfarbe hat in ihren Bildern nie eine Rolle gespielt, Irene Hauger arbeitete schon immer mit starken Kontrasten und einer leuchtenden, reichen Palette. Betrachten Sie beispielsweise den Rückenakt des Gemäldes "Klosterwiese", dann zeigt sich, dass die Farbe hier zu einem elementaren Erlebnis wird. Das Inkarnat fügt sich aus Blau-, Rot und Grüntönen und lässt so etwas wie eine wild empor wachsende Körperlandschaft entstehen.

 

Es ist für mich nicht weiter verwunderlich, dass sich der Übergang zu einer ungegenständlichen Gestaltungsweise schließlich wie von selbst ergab. Bereits das ausgestellte "Wespennest" von 2008 verweist auf die Hinwendung zu einer abstrakteren Vorgehensweise, doch in diesem Jahr ereignete sich die entscheidende Wende. 2018 entstanden bereits 10 weitgehend ungegenständliche Bilder. Ich sage weitgehend, denn oftmals verweisen die Titel auf die - zunächst wieder fotografisch festgehaltenen - gegenständlichen Ausgangssituationen. Dazu gehört der Oktopus, sowie das Bild einer Eisscholle, welche die Künstlerin in Zermatt gesehen hat. Tief tauchte sie gedanklich in diese eiskalte, bizarre Formung ein, sie wollte alles, was sie sich als Bild vorstellen konnte aus diesem Motiv herausholen. Es ist ihr gelungen und als ich Irene Hauger fragte, warum ihr diese gesehenen und selbst erlebten Ausgangspunkte so wichtig seien, gab sie mir eine sehr präzise Antwort: Jene geben ihr die Sicherheit, alles damit malen zu können.

 

Ich komme nun zu den Werken von Stefanie Hauger, die zu einer Kunst eigener Prägung gefunden hat, die von der Verbindung von Spontaneität und Formgefühl lebt. Ihr Vorgehen steht dem nahe, was man als Prozesskunst bezeichnet, denn es geht ihr um das Verhalten von Materialien und um den Vorgang der Bildentstehung, der somit selbst zum Thema des Werkes wird.

 

Wir sehen heute drei verschiedene Werkgruppen, die einige grundsätzliche Gemeinsamkeiten aufweisen. So entstehen alle Arbeiten mit Acrylfarbe und auf einem am Boden liegenden Bildträger. Stefanie Hauger fühlt sich selbst auf diese Weise stärker als Teil des Bildes und das ist wichtig, denn die Handlung am Bild, also das, was sie mit ihren Händen macht, ist der Dreh- und Angelpunkt ihrer Kunst. Während des körperbetonten Malprozesses umkreist sie das Werk und gelangt dabei zu Kompositionen, die weder einen zentralen Brennpunkt noch einen dominierenden Bereich aufweisen. Auch in ihrer endgültigen Form suggerieren diese Arbeiten eine wogende Bewegung, die nirgendwo endet und immer neue Bewegungen zu generieren scheint. Selbst wenn die Künstlerin die Arbeit am Bild beendet hat - die chemische Reaktion, die zwischen den Farben auf der Bildoberfläche abläuft, dauert oftmals noch für mehrere Tage an. Doch Stefanie Hauger kennt die Möglichkeiten ihrer Materialien genau und sie liebt es, wenn sich das Werk zu einem gewissen Teil selbst erschafft. Dazu setzt sie etwas ein, was ich als "kalkulierten Zufall" bezeichnen möchte.

 

Sehen wir uns ihr Vorgehen etwas näher an. Zunächst werden 10-15 Acrylfarben vorbereitet. Die Leinwand wird nicht plan ausgebreitet, sondern durch eine darunter geschobene Papprolle partiell aufgewölbt. Schüttet man die Farbe auf, so rinnt sie an dieser Erhebung herab und gleichzeitig kann ihr Verlauf durch das Bewegen der Rolle zu einem gewissen Teil gelenkt werden. Manchmal bringt sie auch weitere Leinwandabschnitte auf, um den Fluss der Farbe zu unterbrechen.

 

Eine der ausgestellten Werkgruppen bezeichnet die Künstlerin als ihre "biomorph abstrakten Arbeiten". Hier besteht die Palette oftmals aus Weiß, Braun- und Blautönen und wir sehen Gebilde, die an organische Strukturen oder biologische Prozesse erinnern. In diesem Falle schuf sich die Künstlerin einen bewegt gestalteten Hintergrund und arbeitete dann mit Acrylfarben unterschiedlicher Beschaffenheit. In eine sehr stark verdünnte Acrylfarbe tröpfelte sie Farben von dickerer Konsistenz hinein. Die Reaktion zwischen den Farben ließ wilde Strukturen entstehen. Jene erinnern teilweise an Bilder der Erde, aufgenommen  von oben, mit Bergformationen, mäandernden Flüssen und weiten Ebenen. Die beiden kleineren Arbeiten mit dem Titel "Structure" gehören beispielsweise zu dieser Gruppe.

 

Die Abbildung Ihrer Einladungskarte, also das Bild "Glamour & Decay" gehört zu einer weiteren Werkserie. Hier legte die Künstlerin ganz viele Papprollen unter die Leinwand und schüttete eine Farbe auf die Wölbungen auf. Sie ließ jene antrocknen, zog die Rollen heraus und schob sie an die Stelle der zuvor tieferen Zwischenräume. Eine weitere Farbe wurde aufgetragen und dieser Vorgang wiederholte sich rund 15 Mal. Auf diese Weise entstanden ausgesprochen dichte Kompositionen, die an den Verfall von verwitternden Wänden erinnern mögen. Sicherlich ist Ihnen aufgefallen, dass Metallnieten in eine dieser Kompositionen eingefügt wurden. Gerade in der Zusammenschau mit den Fotografien der Punks mögen diese Spitzen aggressiv wirken, sie sind jedoch keineswegs so gemeint. Stefanie Hauger liebt Metall und die Nieten verkörpern wie aufgestickte Pailletten das Thema "Glamour", das sich ja auch im Titel dieser Arbeit findet.

 

Die Bildwelt von Stefanie Hauger ist von Verwandlung und Veränderung geprägt. Wir erleben einen großen Reichtum an Formen, verbunden mit dem Wechsel zwischen explosiver Dramatik und beruhigteren, frei ausschwingenden Formen. So lenken auch die Literaturzitate, die den Bildunterschriften mitunter beigefügt sind, in keine vorgegebene Richtung, sie sind vielmehr dazu da, den Geist des Betrachters für das wach zu machen, was sich auf diesen - im wahrsten Sinne des Wortes - vielschichtigen Werken ereignet.

 

Sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr über das Zustandekommen dieser Ausstellung, denn die Werke von Irene Hauger und Stefanie Hauger zeigen wieder einmal, dass sich Kunst ein eigenes Leben schafft, dass sie weder Abbild noch Derivat der Natur ist, sondern notwendige und gleichberechtigte Lebenspartnerin.